Wiler Zeitung, Christof Lampart 5.11.18
Dieser «Wiler Sunntig» hatte es in sich
Die Stadtkirche St. Nikolaus stand am Sonntagabend ganz im Zeichen des 100. Geburtstags von Paul Huber. Zu seinen Ehren erklang die Uraufführung des «Wiler Sunntig» von Wolfgang Sieber.
Zusammen mit der Singbox Wil brachte der Kammerchor den «Wiler Sunntig» von Wolfgang Sieber zur Uraufführung. (Bilder: Christof Lampart)
Es war keine Frage, sondern eher eine Feststellung: Die Tatsache, dass die Stadtkirche St. Nikolaus praktisch bis auf den letzten Platz gefüllt war, zeigte, dass Paul Huber (1918 bis 2001), obwohl doch schon einige Jahre verstorben, keineswegs aus dem kollektiven Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwunden ist. Vielmehr merkte man, wenn man am Rande des Konzertes mit den Besucherinnen und Besuchern sprach, dass viele noch lebendige Erinnerungen an den Musiker haben. Den einen war er Dirigent, anderen brachte er das Orgelspiel bei und den meisten war er aus selbst miterlebten Konzerten noch in lieber Erinnerung.
Dass der Romantiker aus dem Toggenburg durch ein aussergewöhnliches Konzert, das der Kammerchor Wil unter der Leitung von Felicitas Gadient zusammen mit der Wiler Singschule Singbox unter der Leitung von Markus Leimgruber gab, so prominent gefeiert wurde, gefiel fraglos. Und dass er mit einem eigens zu seinen Ehren komponierten Werk gefeiert wurde, das allerlei heimatliche und musikalische Aspekte beinhaltete, welche dem Bauernsohn aus Kirchberg lieb waren, setzte dem überaus spannungsreichen wie auch kurzweiligen Konzert die Krone auf.
Prächtiges sakrales Momentum
Zuerst wurden durch den Kammerchor Wil fünf Werke von Paul Huber gesungen.
Das Konzert war in zwei Teile gegliedert, die jedoch praktisch fliessend ineinander übergingen, zumal bei einer Gesamtdauer von etwas mehr als einer Stunde keine Pause eingelegt wurde. Zuerst wurden durch den Kammerchor Wil fünf Werke von Paul Huber gesungen, wobei bei zweien die Singbox-Kinder das Ensemble verstärkten und, bis aufs a cappella gesungene «Adoramus», Wolfgang Sieber durchgehend auf der Orgel begleitete: «O salutaris ostia» (1952), «Salve Regina» (1981), «Missa vocalis» (1946), «Justorum animae» (1985) und «Adoramus» (1944). Gadient verstand es wunderbar, die oft in sich zu ruhen scheinenden Werken als das zu interpretieren, was sie in Wirklichkeit waren: intime musikalische Gebete. Dass der Kammerchor dabei sehr präsent auftrat, klar und verständlich sang, führte unweigerlich dazu, dass sich das sakrale Momentum prächtig entfalten konnte und erlebbar wurde.
Rauschhaft wie ein Rockkonzert
Völlig anderer Natur war da der «Wiler Sunntig» von Wolfgang Sieber (*1954). Wer die Wirkung des Stückes auf die Zuhörerschaft mit «unkonventionell-mitreissend» umschreibt, liegt sicherlich nicht falsch. Denn das, was der gebürtige Lichtensteiger seinem Toggenburger Landsmann zu Ehren komponierte, war eine ziemlich «wilde» Angelegenheit, die mit Natur-Juchzern (Solojodlerin Arlette Wismer), jazzartig eingeworfenen Alphorn-, Kuhhorn-, Büchel und Trompetenklängen (Heinz Della Torre) und wuchtigen Orgeleinsätzen (Wolfgang Sieber) zuweilen ziemlich schräg, nie aber falsch am Platz wirkte. Es war ein rauschhaftes Erlebnis, dass in seiner Wirkung aufs Publikum mehr etwas von einem Rock-, denn von einem Kirchenkonzert an sich hatte.
Doch da waren auch noch die beiden Chöre als Korrektiv, welche sich lustvoll-gekonnt durch Vigil, Laudes und Vesper sangen und dabei munter bekannte Weisen wie «Wenn min Schatz go fuetere goht», «Wiler Lied», Paul Hubers «Missa vocalis» oder das Rigi-Lied zu einem Potpourri aus deutschen, lateinischen, englischen und schweizerdeutschen Worten sowie einigen Jodlern vermengten.
Das Konzert war wunderbar erfrischend. Es wäre zweifelsohne schade, wenn das Werk bis zum nächsten Paul-Huber-Jubiläum wieder in Vergessenheit geraten würde. Dieser Meinung war am Sonntagabend auch die Zuhörerschaft, welche den Aufführenden am Ende einen ebenso begeisterten wie langen Applaus spendete.
Luzerner Zeitung (mat)
Wolfgang Sieber, hier am 7. Januar 2014 im KKL. (Bild: PD)
Man fragte sich, wie weit die Komposition eines halbstündigen Werks über die Stiladaptionen hinausgehen würde, wie man sie von Sieber kennt. Denn für den «Wiler Sunntig» wünschte sich der Chor aus der Ostschweiz, wo der Toggenburger neben Luzern noch heute tätig ist, den Einbezug volksmusikalischer Elemente. Sieber baut sie ein in einen Ablauf, dessen drei Teile mit Sonntags-Assoziationen wie Religion, Gemeinschaft, Natur und Kultur spielen.
Vom Natur-Jodel zu urbanen Big-Band-Sounds
Die Gemeinschaft inszeniert Sieber, indem er in adaptierten Volksliedern zum Kammerchor Kinder- und Jugendchöre (ebenfalls aus Wil) einbezieht, die auch mal in einem alltäglichen Sprachton von ihrem «Städtli» erzählen. Natur symbolisieren die spektakulären Einsätze von Heinz della Torre mit Kuh- und Alphorn, Büchel und Trompete. Natur und Gebet verschmelzen im ergreifenden Naturjodel von Arlette Wismer.
Kompositorisch über Stiladaptionen hinaus geht die Art, wie Sieber diese im Ablauf weiterentwickelt. Wenn zum Naturjodel eine Bläserstimme hinzukommt, werden die Natur- und Gebetssphäre selber zum Kulturprodukt. Wo im Wiler «Städtlilied» die «grosse Welt» genannt wird, bricht Heinz della Torres Trompete lasziv-jazzig in die Idylle ein und schlingert durch die urbanen Big-Band-Sounds der prominent und farbig eingesetzten Hoforgel.
Die grosse Form lebt zudem vom Kontrast zwischen einem zarten Mystizismus und tänzerischer Motorik. Das führt an Höhepunkten zu Turbulenzen, die an Gustav Mahlers Idee der Jahrmarkts-Polyphonie erinnern und die zum Schluss mit einem rasanten Schäfli-Schottisch diesen Sonntag zum Fest machen. (mat)
Sa 3.November 19h30, Hofkirche Luzern & So 4. November 17h , Stadtkirche St. Nikolaus, Wil – Leitung Felicitas Gadient
Adoramus te op.5a ( 1944)
Ave maris stella (1952)
O salutaris hostia (1952)
Missa vocalis (1946)
Kinder- & Jugendchor Singbox Wil und Orgel:
Salve Regina (1981)
Justorum animae (1985)
Uraufführung:
Solisten, Kammerchor Wil, Kinder- & Jugendchor Singbox Wil und Orgel
Wiler Sunntig (Wolfgang Sieber. 2018)