Der Kammerchor Wil führte unter der Leitung von Felicitas Gadient Felix Mendelssohns «Lobgesang» in der Kreuzkirche auf. Begleitet wurden die Sängerinnen und Sänger von der Südwestdeutschen Philharmonie.
Kritiker hatten Mendelssohns «Lobgesang» formale Glätte vorgeworfen. Doch warum Musiktheoretiker zufriedenstellen, wenn ein Werk die Herzen anzusprechen vermag? Als Auftragswerk zur Feier des Buchdruckjubiläums hatte der Komponist eine sinfonische Kantate geschaffen, in welcher er den Sieg des Lichtes über die Dunkelheit in dramatischen, emotionalen Bildern darstellte. Diese einzigartige Komposition bewegt seit ihrer Erschaffung die Menschen und zog am Samstag ein überaus grosses Publikum in die Kreuzkirche in Wil, das sich am Ende berührt zeigte.
Die machtvolle Sequenz des Kantatenmotivs «Alles, was Odem hat» am Beginn des sinfonischen Teils lässt bereits den Triumph erahnen. Felicitas Gadient, Dirigentin des Kammerchors Wil, verstand es ausgezeichnet, dieses Motiv sowie weitere markante Stellen sehr akzentuiert zu interpretieren. Die Südwestdeutsche Philharmonie zeigte sich mehr als willig, dieser Führung zu folgen, so dass ein ungemein plastisches und zugleich transparentes Klanggemälde entstand. Fernab aller biblischen Historiendramatik setzte Felicitas Gadient den zweiten Satz in eine an Balletteinlagen erinnernde Leichtigkeit, die dem erstaunlichen Wandel im Charakter des sinfonischen Teils entgegenkam. Sehr gesetzt, würdevoll, dem «Adagio religioso» entsprechend, dann der dritte Satz.
Dem Kammerchor ist es hoch anzurechnen, dass er nach der fast 30minütigen Wartezeit bis zu seinem Einsatz nichts an Konzentration verloren hatte, wenn auch das erste Intonieren des «Alles, was Odem hat» ein wenig hinter dem Orchester verschwand. In der Folge jedoch entwickelte sich ein homogenes Miteinander zwischen Chor und Orchester. Wunderbar gelang es den Frauenstimmen, ihren Part als Gefährtinnen der Solistin im «Lobe den Herrn» wahrzunehmen: Mit der schlichten Interpretation rutschte der Teil nicht in frömmlerischen Kitsch ab.
Ein weiterer grosser Moment des Chores war der A-cappella-Teil des «Nun danket alle Gott». Felicitas Gadient gestaltete diesen Choral statisch, erreichte damit eine wunderbare Transparenz, verlor dabei aber nicht die grossen Spannungsbögen aus dem Blick. Als Solisten erfreuten die beiden Sopranistinnen Ana Maria Labin und Katrin Lüthi. Für den erkrankten Jürg Dürmüller war Simon Witzig eingesprungen: Fast schon theatralisch im besten Sinn des Wortes gestaltete er das bange Fragen: «Hüter, ist die Nacht bald hin?», das von der Sopranstimme mit einem glasklaren «Die Nacht ist vergangen» beantwortet wurde.
Carola Nadler, Tagblatt online 4.5.15